Blog #15: Come As You Are.
Von Jonas Linnebank.
Ich gucke Zusammenfassungen internationaler Fußballspiele auf einer halb-illegal, illegalen oder sich dazwischen in der Grauzonen befindenden Homepage. Die Videos sind in der Regel zwischen zehn und fünfzehn Minuten lang. Dazwischen werden fünf und mehr Werbeanzeigen geschaltet. Es war wahrscheinlich dort, dass ich die neue (vielleicht mittlerweile alte) Crocs-Werbekampagne gesehen habe.

Protagonist*innen in den beiden Videos, die mir angezeigt wurden, sind ein Mann mit Trisomie 21 und eine Skaterin, denen scheinbar gemeinsam ist, dass sie gerne Crocs tragen. Die Werbefilme schließen mit den Worten: Come as you are. So weit, so gut. Erst milde verblüfft, dann irritiert, war ich, als mir das kleine ™ hinter dem Nirvana-Zitat auffiel.
Dieses kleine ™ zeigt, laut Wikipedia, eine unregistrierte Warenmarke an. Da unregistriert bietet das ™ im amerikanischen Recht weniger Schutz als das ®, aber dennoch erhöht es die Rechtssicherheit für den*die Rechteinhaber*in. Come as you are™ bedeutet also soviel wie: Mach damit, was du willst. Aber wenn du es mir zu bunt treibst, könnte ich zumindest versuchen, dich zu verklagen.
Sollte jetzt aber jemand auf euch auf die Idee kommen, darauf zu scheißen und sich den Spruch auf “001: Raw or Partly Prepared Materials, 002: Receptacles, 003: Baggage Animal Equipments, Portfolios and Pocketbooks, 022: Games, Toys and Sporting Good, 041: Canes, Parasols and Umbrellas” zu drucken ohne Crocs zu fragen – ja, dann könntet ihr, zumindest in den USA und den Staaten, die sich dem gleichen Rechtssystem angeschlossen haben, ein Problem bekommen. Da hat Crocs nämlich seit 2017 nicht nur ein ™ sondern auch ein ® drauf.
In Köln beginnt sich das Leben seit dieser Woche wieder zu normalisieren. Heute hat mir eine Freundin erzählt, dass sie sich in einer Art Nachkriegsstimmung wähnte, als sie vor ein paar Tagen in Münster in einer Kneipe saß. Dort unterhielten sich die Leute (ungewohnt) kommunikationsfreudig über die Tische hinweg, fragten nach, ob man gut durch die Krise gekommen sei, jemanden verloren hätte, wie es denn ergangen wäre, ob man sich auch so freue, dass es jetzt wieder normal würde.
Ich bin weder die erste noch die findigste Person, darauf zu verweisen, dass es eigentlich nicht normal sein kann, dass Dritte Kunst kommerzialisieren und lizenzieren können. Oder können wir uns bald auf “Help! I Need Somebody ™” freuen? Oder auf “Under my Umbrella, Ella, Ella, E, E, E ™”? Wenn der Alltag und die Routinen in Deutschland wieder normal empfunden werden, dann haben wir die Chance, die in der Pandemie lag, und die das Feuilleton und Freund*innen von mir bis zum Erbrechen in Zeitungen, Social-Media-Feeds und jede (politische) Diskussion wiedergegeben haben, mehr als nur verpasst. Dann haben wir sie sogar zunichte gemacht.
Dann werden Perspektiven in ein Normalbild verzerrt, weil ja jetzt ja endlich wieder alles gut ist. Dann hat es wenig Sinn, z.B. über das Leistungsschutzrecht zu sprechen, das u.a. Springer und andere Medienunternehmer oligarchenmäßig erwirkt haben. Dann wird widerstandslos hingenommen, dass Journalismus ja irgendwie geschützt werden müsse. Und anstatt sich darüber Gedanken zu machen, wie das eigentlich funktionieren kann, pumpt man einfach Geld in einen Raum, der irgendwie irgendwann mal irgendwas mit Journalismus war. Dann hat es jetzt keinen Sinn mehr über die Aufhebung von Impfstoff-Patenten zu sprechen. Oder darüber den propagandierten Wissenstransfer auch wirklich zu leisten. Das ist nämlich einfach nur die falsche Perspektive! Die richtige? Exportweltmeister Deutschland!
Und dann müssen wir schließlich auch nicht mehr darüber reden, dass wir mit Werbung zugeschissen werden und sich diese Werbung in unserer Normalität und durch diese irre Normalität auch noch eine Grundlage schafft, sich gegen sie zu wehren, sich gegen die billig-teuren Produkte zu wehren, sich gegen die drohende Unbewohnbarkeit weiter Erdteile zu wehren. Denn dass es so kommt, ist normal.
Als Kurt Cobain sich am 5. April 1994 erschoss, war ich zu klein, um die Nachricht richtig zu verstehen. Ich weiß aber noch, dass er keine Crocs trug. Oder ob es Crocs da schon gab. Aber das ist vielleicht auch egal. Ob diese Feststellung normal oder zynisch ist, kann ich heute nicht mehr auseinander halten. Es ist zu normal geworden, zynisch auf die faktische Wirklichkeit zu reagieren. Das ist, bin ich mir sicher, nicht egal.