Blog #17: Meinungsvielfalt in der freien Marktwirtschaft.

Von Jonas Linnebank

Deutsche Medienunternehmen und Zeitungsverlage haben gekämpft. Und zwar erfolgreich: Für ein Leistungsschutzrecht. Es geht Ihnen um den Erhalt der Pressefreiheit, um Journalismus, um die Vielfalt der deutschen Presselandschaft – und um das freie Unternehmertum. Wie das eigentlich alles zusammenhängt? Darum geht es hier.

I. Money, money, money

„Tatsächlich haben wir die besten Jahre unserer Geschichte erlebt,“ sagt ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo im Mai 2013 auf dem 21. Forum Lokaljournalismus in Hamburg. „Wir haben uns in allen Bereichen und gegen jeden Trend verbessern können – Auflage, Reichweite, Umsatz und Rendite sind gestiegen.“ Die ewige rhetorische Frage nach dem wann, ob, und wie tot Print jetzt eigentlich sei – diese „Horrorszenarien“ sind für di Lorenzo „ein Gräuel, der Ton, der dabei angeschlagen wir, ist ein Desaster. … Abgesehen davon erwirtschaften die großen überregionalen Printmarken und ein großer Teil der Lokal- und Regionalzeitungen trotz sinkender Auflagen Renditen, die mancherorts so hoch sind, dass man sie lieber nicht veröffentlichen möchte.“ Und so findet nicht nur er es „erstaunlich, wie sich unsere Branche seit einigen Jahren in der Öffentlichkeit darstellt.“

Wie stellt sich die Branche dar? Print sei tot, die Verlage und der Journalismus an sich in Gefahr. Woher kommt die Gefahr? Die einfache Antwort: Aus dem Internet und dessen Repräsentanten Google und Facebook. Da es die Tech-Riesen und ihre Algorithmen schaffen, täglich viele Augenpaare auf ihre Seiten und Produkte zu ziehen, wandern die Anzeigekunden aus den Zeitungen ab ins Internet. Dort können die Produkte der klassischen Verlage und Medienunternehmen nicht mit Facebook und Google konkurrieren.

Nun gibt es das Internet nicht erst seit gestern. Doch spätestens seitdem ist es an allem schuld. Auch an dem, was schiefläuft in den Medien. Jeremy Littau, ehemaliger Journalist, Medien-Soziologe und Professor an der Lehigh University sieht das etwas differenzierter.

„Nachrichten-Unternehmer haben sich ziemlich verschätzt damit, was sie im ‚Internet‘ gesehen haben. Trotz unser aller edlen Glaubenssätze über Journalismus und Demokratie, sind Zeitungen Unternehmen, die ein Publikum für Werbung generieren. … In der Zeit vor dem Internet hielten Zeitungen quasi Monopole, die auf den den Grenzen der damaligen Technologie und dem Radius basierten, die ein Lieferwagen täglich fahren konnte.“

Wie haben die Verlage darauf reagiert, dass ihnen Internetfirmen das Monopol auf Werbung zerschlagen haben?

Um die Renditen und Gewinnmargen von bis zu 30% beizubehalten, wurden Stellen gestrichen, Redaktionen zusammengelegt oder gleich ganz geschlossen – und es wurde in nicht-journalistische Inhalte investiert. Christopher Buschow, der gemeinsam mit Mathias Wellbrock ein Gutachten zur Innovationslandschaft des Journalismus in Deutschland verfasst hat, erklärt: „Viele Innovationsbudgets von Medienhäuser gehen zudem eher in kerngeschäftsfremde Felder und nicht ins Journalistische. Im Gegenteil liegt der Fokus bei Veränderungen in der Redaktion oft auf Kostensparen, Personalabbau und Konsolidierung.“

Worin investieren die Fackelträger der Pressefreiheit? „Beispielsweise erwirtschaftet die Axel Springer SE als eins der größten Verlagshäuser Europas den Hauptanteil seiner Digitalumsätze mit digitalen Rubrikenportalen in den Bereichen Stellenanzeigen und Immobilien,“ heißt es in dem Gutachten.

Natürlich könne man nicht pauschalisierend sagen, dass Verlage und Medienunternehmen innovativen Journalismus im Weg stehen, aber, so Buschow und Wellbrock weiter, es bleibe „festzuhalten, dass (deutsche) Verlage hinsichtlich einer Innovation im Journalismus als ausgesprochen zögerlich eingeschätzt werden müssen und bisher eher auf Exploitation als auf Exploration gesetzt haben.“

II. Alles mach neu

Faktoren, die Innovationen im Journalismus verhindern und deshalb besonders berücksichtigt werden müssen, sind laut dem Gutachten von Bulchow und Welbrock u.a. die zunehmende Gefahr, dass Journalist_innen nicht mehr von ihrem Beruf leben können, eine Unterfinanzierung der Forschungsbereiche für Innovation in den Verlagen, Probleme, wissenschaftliche Erkenntnisse in die journalistische Praxis eingehen zu lassen und „eine eng mit dem journalistischen Berufsverständnis verbundene Branchen- und Berufskultur, die durch eine grundlegenden Skepsis gegenüber dem Wandel und der Veränderung geprägt ist.“

Gerade letzterer ist ein schwerer Vorwurf. Aber Bulchow und Wellbrock sind damit nicht allein.

Tom Rosenstiel, Autor, Journalist, Medienkritiker und Vorstandsmitglied des American Press Institute, ärgert sich über den „sturen Anti-Intellektualismus“, den er im Berufsfeld Journalismus verbreitetet findet, und die scheinbare „Theorie-Resistenz“ einiger Journalist_innen.

Und auch Giovanni di Lorenzo stimmt ein in die Kritik ein. Dazu betont er, warum es so wichtig für Redaktionen wäre, ein bisschen mehr über sich selbst nachzudenken:

„Selbstverständlich müssen wir Kritik üben, auch wenn wir alle wissen, dass gerade Journalisten Selbstkritik in der Regel schwer fällt. Aber bei aller notwendigen und berechtigten Kritik dürfen wir nicht die Wertschätzung für all das verlieren, was in Deutschland gut und erhaltenswert ist. Das ist mein zentrales Anliegen – denn oft ist uns eben gar nicht mehr klar, was eigentlich auf dem Spiel steht. Ich bitte Sie, das im Hinterkopf zu behalten, wenn ich jetzt mit unserer Branche ins Gericht gehe. Denn ich beobachte in den deutschen Medien seit einiger Zeit einen besorgniserregenden Hang zum Gleichklang. Das Merkwürdige dabei ist, dass der Konformitätsdruck nicht von bösen Regierungen oder finsteren Wirtschaftsmächten ausgeübt wird. Vielmehr kommt er aus unserer eigenen Mitte, er geht von uns Journalisten aus, zum Teil auch von Lesern und Zuschauern.“

Um aus diesem Konformitätsdruck und Gleichklang auszubrechen, schlagen die Neuen Deutschen Medienmacher*innen zum Beispiel eine Diversität-Quote von 30% vor. Auch Bulchow und Welbrock schlagen vor Vielfalt innerhalb der Redaktionen zu fördern, was bedeutet „personelle Vielfalt (Geschlecht, soziale Schicht, ethnischer Hintergrund, etc.) in journalistischen Organisationen zu stärken, um so innovative Marktchancen und neue Publikumsschichten zu erschließen.“

Wichtig ist natürlich auch, dass sich die Verlage und Medienunternehmen selbst in die Pflicht nehmen. Und vor allem: Dass sie es anders tun als bisher. Wenn Medienunternehmen und Großverlage nämlich mehr in ihre Tätigkeiten als Investoren (Burda) oder Portale für Stellenanzeigen und Immobilien (Springer) investieren, anstatt in journalistische Formate und Redaktionen, stellt sich, so Bulchow und Welbrock, irgendwann die Frage: „Bleiben (Groß)Verlage journalistische Unternehmen? … Die Strategie der Verlage folgt … in vielerlei Hinsicht der Logik von Finanzinvestoren, sodass auch kritisiert wird, sie würden ihrer publizistischen Verantwortung, die sie in öffentlichen Debatten regelmäßig für sich reklamieren, nicht gerecht.“

III. Pressevielfalt – und Marktwirtschaft!

‚Jetzt ist aber Schluss, ihr Hippies! Immer auf den Verlagen rumhacken. Dabei zeigt sich doch jetzt wie wichtig die Macht der Medienkonzerne ist, weil sie es sind, die es endlich mit Google und Facebook aufnehmen!‘ – Ja, das mögen Menschen vereinzelt glauben. Das ist nur wahrscheinlich etwas einfach gedacht.

Denn eigentlich findet hier kein Partisanenkampf statt zwischen Verlagen, die die Pressevielfalt verteidigen, auf der einen und bösen Tech-Konzernen aus Silicon Valley auf der anderen Seite. Es kämpfen ehemalige (trans-)nationale Monopolisten gegen neue (inter-)nationale Monopolisten. Es ist ein Machtkampf, um die Augen der Werbekund_innen. Sollte es Medienunternehmen wie vorgesehen möglich sein, Inhalte über 160 Zeichen Länge auf anderen als der Haus-Seite sperren zu dürfen, sähen sich Unternehmen gezwungen, wieder auf den Netzauftritten der Zeitungen zu werben und nicht mehr bei Google und Facebook. Es sei denn letztere bezahlen die Verlage für die Verlinkung von Inhalten auf ihren Plattformen.

Was das mit Journalismus zu tun hat? Nichts. Oder in den Worten von Magda Konieczna, Professorin der Temple University und Expertin für Non-Profit Journalism:

„Die Werbetreibende waren im Wesentlichen wichtige Kunden des ‚News Business‘. Sogar noch bis 2006 lässt sich sehen, dass Anzeigen 80% der Finanzierung von Nachrichten-Unternehmen in den USA ausmachen … Ich denke, man kann durchaus sagen, dass Journalismus niemals ein Produkt des freien Marktes war. Er entstand eher zufällig, nebenbei als Abfallprodukt in der Beziehung von Werbetreibenden und Verlagen.“

Und eigentlich machen die Mächtigen des News Business daraus auch (fast) keinen Hehl. Oder warum verknüpft Philipp Welte, Vorstand von Hubert Burda Media und Vizepräsident des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger, in seiner Lobbyarbeit instinktiv und natürlich „die Freiheit der Medien und das freie Unternehmertum“?

IV. Zukunft des Journalismus

Es gibt mehrere Ideen und Möglichkeiten die Pressevielfalt zu gewährleisten. Es gibt z.B. funktionierende Crowdfunding-Projekte wie das Katapult Magazin und dessen neue Lokalzeitung Katapult MV. Letztere wurde explizit 2021 gegründet, um die de facto Monopolstellung des rassistischen Nordkuriers zu brechen „und die dringend notwendige journalistische Vielfalt in die Region zurückzuholen.“

Über Crowdfunding ist auch Jung & Naiv entstanden. Außerdem finanziert es sich nicht trotz, sondern zum Teil wegen und über die Google-Plattform YouTube.

Andere Möglichkeiten, die das Gutachten der Landesanstalten NRW vorschlägt, sind direkte staatliche Investitionen in innovative Zeitungsprojekte und die Förderung von Non-Profit Projekten. Magda Konieczka liefert in ihrer Präsentation einige funktionierende Beispiel aus den USA. Micro-Payment oder Direct-Payment Ideen wie sie z.B. von Blendle oder den RiffReportern angewandt werden, sind eine weitere Idee. Finanzierungen, die ziel- und planlos große Mengen Geld über die Auflagenstärksten Zeitungen und Zeitschriften schütten, wie von der Bundesregierung beschlossen, führen nicht zum Ziel.

Vor allem aber, und das zeigen die Erfahrungen von RiffReporter-Vorstand Christian Schwägerl und Republik.ch-Mit-Gründer Richard Höchner, zahlen die Menschen für qualitativ hochwertigen Journalismus. Beide Formate finanzieren sich hauptsächlich über Jahresabonnements.

Wenn klassische, etablierte Medienerscheinungen irgendwann in der vollkommenen Bedeutungslosigkeit angelangt sind, hat das vielleicht weniger mit unmündigen Bürgerinnen und Bürgern zu tun, als mit einer selbstverschuldeten Profitorientierung, die das, was vorgeblich mal das Kerngeschäft war, schon lange als mühselige und kostspielige Dienstleistung immer mehr abstößt.

Hier wiederum können Blogs und Plattformen dann, erst recht bei entsprechender Zerschlagung der Monopole von Facebook und Google, einspringen für die Vielfalt und Freiheit der Presse sowie eine transparente Berichterstattung. Wenn diese durch das neue Leistungsschutzrecht, für das Döpfner, BDZV und Co. weiter lobbyieren, nicht daran gehindert werden.


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