Das Manifest

AM ANFANG WAR DIE FRAGE:

Warum bedarf es noch einer neuen Zeitschrift, um die Zeit, die wir teilen und Gegenwart nennen, zu kommentieren? Warum führt diese zufällige Meinung den Begriff der Literatur und die Idee der Kunst mit sich? Hat Literatur ihre Wirkmacht nicht längst überschritten? Warum also diese, analoge und aggressive Form der Umweltverschmutzung für eine vermeintliche Kulturleistung, die in Wirklichkeit eher nach Nostalgie und Elitarismus aussieht? Die Antwort ist einfach:

Weil wir Recht haben. Die Menschen, die glauben, dass es noch nie ein ähnliches Chaos an Meinungen, noch nie eine ähnliche Menge an Informationen gegeben hätte, verkennen, dass ein Großteil der Vergangenheit vergangen ist. Wissen ist aufgelöst, Wörter sind verloren und jede erhaltene Information ist zugleich ein Zu- und Glücksfall. Ob es sich um Pindars Oden, Nietzsches Notizen, Anne Franks Tagebuch, Handkes Fußballaufstellung oder meinen Einkaufszettel von gestern handelt – die Zeit kaut ihre Zeugen und schluckt deren Zeugnisse. Das war früher nicht besser, noch nicht einmal anders. Warum sollte es also unvorstellbar sein, dass Server und Papier so schnell verdaut sind, dass auch schon in einer kurzen Zeitspanne von einem Jahrhundert jegliche Vielfalt im Wissen über unsere Gegenwart in Schrift-, Text- oder Bildform verschwunden ist?

Also gilt es: Es gilt zu suchen, was sich an Bretterverschlägen und in Ruinen hält, um es weiterzuschreiben. Es gilt zu finden, welche Hütten, Häuser und Paläste wir heute bauen können. Es gilt zu suchen, was die Überreste einer Hoffnung sind und woraus man Baupläne schneiden kann. Es gilt Farben für die Skizzen zu finden, dick aufzutragen, bis die Falten wieder glänzen. Es gilt dem, was die Schönheit frei legt.

Es gilt zu suchen, was wir vergessen wollen, was wir für langweilig, tierisch, kostbar, verwerflich, abstoßend, verständlich, nichtig, besser und traurig halten. Es gilt zu finden, was durchgestrichen wurde und warum. Es gilt mit Kommentaren, Fußnoten und Zeichensetzung neue Grundsteine zu legen.

Es gilt die Gegensätze zu suchen. Es gilt eine Möglichkeit zu finden, sie auszuhalten. In Ironie und Ernst, in Kunst und Scham, in Liebe und Wut und Kitsch, in Opportunismus und Toleranz.

Es gilt die analytische Phantasie. Sie wieder aufzurichten, sie zu probieren, als praktisches Werkzeug zu nutzen und zu verschenken. Es gilt zu sehen, wie es möglich und unmöglich gewesen sein könnte die Zeit zu verstehen, die sie hat verwahrlosen lassen.

Es gilt zusammenzuführen: Aus ferner Vergangenheit, aus unausgesprochen Vergehendem, aus dem bald schon Vergangenen, aus dem was wir Gegenwart und Zukunft nennen; Zusammenzuführen, was unseren Blick für das Ungewusste öffnet, den blinden Fleck sucht. Das zusammenzuführen, was Spuren trägt, was Triebe hat und Blüten stäubt.Weil unsere Gegenwart welk werden wird, wie die Zeiten in denen man Oh und Ah schrieb und Herz auf Schmerz reimte. Und sie wird nicht weniger schuldig als andere sein an dem, was kommt. Aber wir werden uns nicht vorwerfen lassen, aufgehört zu haben Gedichte, Kritiken und Erzählungen geschrieben und Texte als Literatur und Bilder als Kunst bezeichnet zu haben. Und Warum nicht?

Weil eine Antwort nicht einfach ist: Weil Namen mehr sind, als nur das, was diese Namen trägt: Weil jede Formation auch mal Trans war: weil Niemand danach gefragt hat: Weil wir die Dinge tun müssen und die Dinge uns tun: Weil Unmöglichkeiten vor uns aufgebaut werden und wurden, die möglicherweise veränderbar sind: Weil Geschichte ein Prozess ist, der Ellenbogen braucht: Weil zu oft das getan wird, was wahrscheinlich und nicht was möglich ist: Weil Erbe kein Verdienst ist: Weil Zeit nicht endlich ist, Krisen aber schon: Weil Ihr Euch nicht fürchten müsst: Weil aus Angst der Mut zu Fehlern werden kann. Weil die KLiteratur bei Euch ist.

Kurzum: Sie sind gezwungen Ihre Augen zu benutzen, Geld zu zahlen oder diebische Qualitäten anzuwenden. Gezwungen mit Ihrem Banknachbarn zu reden, Ihrer Sitznachbarin wenigstens einmal kurz in die Augen zu schauen,. Gezwungen zu weinen und andere zu trösten und es sein zu lassen, wenn diese Anderen Ihre Hilfe nicht wollen. Sie sind gezwungen Ihr Gesicht zu waschen und in Ihren Ohren für Ordnung zu sorgen. Sie sind gezwungen sich dem Chaos auszusetzen, es auszusitzen und es anzuordnen. Gezwungen es aufzu-, zuzu- und mitzuteilen. Sie sind in der Pflicht ihrer Möglichkeiten. Und wenn Sie fragen, warum Sie diese Zeitschrift also kaufen sollen, so ist die Antwort wieder einfach:

Weil Ihnen das auch ganz egal sein kann.

Stellungnahme der Kölner Literaturzeitschrift

Küche, Mai 2018. PBF & JL