Blog #1: Disziplin, Kapitalismus & Tausend Jahre Bier
von Jonas Linnebank
Ich bin kürzlich 32 Jahre alt geworden und trinke seit circa 18 Jahren Bier. Daran zeigt sich vor allem eins: an Bier zu kommen war für mich immer recht einfach, egal in welchem Alter. Bier zählt für viele Menschen zum Grundnahrungsmittel und natürlich als Belohnung für Anstrengung, Arbeit und (temporäre) Askese. Als es Ende Ende 2020 hieß, dass die Gastro-Betriebe wieder zumachen müssen, war die Ansage an meinen Freund*innenkreis klar: “Ich weiß nicht, was ihr heute Abend macht, aber ich setze mich in die Kneipe und trinke Bier. Ihr seid alle eingeladen, aber ich werde nicht mit mir diskutieren lassen in Sachen Abendplanung.”

Das kann mensch bescheuert finden. Es ist mehr als legitim diese Bierkultur und dieses Sucht-ähnliche Verhalten zu verurteilen. Ich komme damit klar. Aber aus dieser Perspektive könnt ihr vielleicht verstehen, wie ungläubig ich geguckt habe, als der erste Kioskbesitzer meinte, dass er mir offiziell um diese Uhrzeit kein Bier verkaufen dürfe. Während er mir erklärte, wie sehr sein Verkauf unter dieser Auflage litt, dass er eigentlich dann ab 22 Uhr zumachen könne, ging er langsam vor das kleine Schaufenster des Kiosk und betrachtete den Platz. Dann sagte er mir, dass ich mir jetzt schnell ein Bier rausnehmen könne, wenn ich Platz in meiner Jackentasche hätte. Gesagt getan griff ich zu Bier und Cola, versenkte das Bier in der großen Innentasche meiner Jacke und ging mit dem Kioskbesitzer zurück zum Counter. Zu Karneval hatte ich weniger Glück. “Wenn du Bier kaufen willst, muss ich dich leider enttäuschen,” sagte die Kioskbesitzerin unseres Haus&Hofs-Kiosk. “Alkoholabgabeverbot.”
Und so kam es, dass ich in einem nun volljährigen Trinkerleben zweimal innerhalb weniger Monate kein Bier kaufen konnte. Heute postete P. ein Foto aus einem Berliner Kiosk: “Kein Alkoholverkauf von 23 – 6 Uhr — Wir bitten um Ihr Verständnis”. Aber wie er muss ich zugeben, dass es mir schwer fällt. Während Fabriken, die Dichtungsringe, Getriebe, Dieses und Jenes produzieren, Dinge, die absolut unnötig sind, wenn doch alle (!) zu Hause bleiben sollen; während TV- und Filmproduktionen weiterhin exorbitante Sonderberechtigungen bekommen, um schlechte Krimis, Schmonzetten, Haushaltsipps und Kochsendungen zu produzieren; während Menschen aus Politik & Journalismus (die mittlerweile fast eine Gruppe zu sein scheinen) sich über die Disziplin(losigkeit) der Bevölkerung auslassen und an die Vernunft appellieren, die sie für sich gepachtet zu haben scheinen; während der Kapitalismus sich durch die Pandemie weiter aufbläht und die Brustmuskeln flext, soll es verboten werden Bier zu verkaufen, Bier zu kaufen, nachts Bier zu kaufen, Bier zu trinken?
Und darum rufe ich hiermit endlich zur Revolution auf! Keine Kredite für Lufthansa und Tui! Kredite für die Menschen! Mindestens eine Pandemie-Grundsicherung! (Dann kann mensch hier den ganze Bumms auch endlich zu machen und niemand muss Angst haben…) Fortschritts- und Wachtstumsideologie stoppen! Selber Fortschritte im Kopf machen, persönlich Wachsen … was auch immer! Aber vor allem:
Mach eine Rast, du bist unser Gast
Die Augen sie stier’n auf den süffigen Saft
Hier bist du Mensch, egal was du denkst
Mystische Welten, die Tulpe, sie glänzt
PROST !