Blog #13: Zu wie viel % besteht die Zukunft aus Service?

Von Philipp-Bo Franke.

Ich habe überhaupt gar nix gegen die Zukunft, ganz im Gegenteil. Her mit ihr! Ich habe auch nix gegen die Technik von heute, die uns diese Zukunft verspricht. Okay, ich habe kein Smartphone, keine Apps und auch sonst bin ich technisch eher unmodern unterwegs. Aber auch wenn ich damit langsam aber sicher an die Grenzen der sozialen Teilhabe komme (meine Bank lässt mich seit kurzem nicht mehr per sms überweisen; Freunde verabreden sich zum Tischtennis – wer bekommt‘s nicht mit?), habe ich nichts gegen Smartphones oder die Verheißungen des Digitalen.

Kann und muss ja jede*r selbst entscheiden, was sie*er an technischem support für 1 Life braucht und wie er*sie damit umgehen will. Ich bin lediglich skeptisch gegenüber Dingen und Services, die mir das Leben immer und überall erleichtern wollen, ohne das ich danach gefragt habe.

Mal aus politischen Gründen mit persönlicher Färbung, wie bei UBER: Als UBER kurz an der Schranke zum deutschen Mobilitätsmarkt warten musste, erklärte mir mein Fußballkollege C., seines Zeichens selbstständiger Taxifahrer, warum UBER seinen Job, von dem er leben könne, kaputt macht: Mobilität als private Dienstleistung rutscht ab ins Feld der Niedriglöhne, Selbstausbeutung, Konkurrenz, private Datenernte, noch mehr Autos auf den Straßen u.s.w. Allein wegen C. und seinen vielen Toren für unseren Aufstieg damals, bin ich also UBER-kritisch. Wenn mir jemand erklären kann, warum alle – Passagiere, Fahrer*innen, Umwelt – von UBER profitieren und das zukunftsfähiger Service ist, dann mach ich gerne mit (Ach nee, geht ja ohne App gar nicht).

Mal aus persönlichen Gründen mit politischer Färbung, wie bei LIEFERANDO: Ich mag mein Essen halt lieber, wenn es heiß ist. Lieferpommes erschlaffen im eigenen Dampf zu fettigen Kartoffelstäben und Pizza wird zu einem besseren Käsebrot, wenn sie lauwarm ist. Das weiß auch mein Freund und Fußballkollege J., seines Zeichens Pizzataxi-Fahrer. Und wovon hätte er gelebt, wenn er neben den 5 Euro Stundenlohn nicht immer umsonst in der Pizzeria seines Chefs S. hätte essen können? Ich meine, auch wenn Köln ein Dorf ist, gibt es in jedem Viertel bis zum äußeren Gürtel gute Pizza, Falafel, Burger, Thai, vietnamesisch, Gyros, … auf zwei Beinen in weniger als 10, mit Pedalen unter den Füßen in weniger als 5 Minuten erreichbar. Warum brauche ich einen weiteren Monopolisten im Datenbusiness als Zwischenhändler, wenn ich mit zwei oder drei Klicks mehr den Pizzablitz auch direkt anrufen kann? Okay, manche bieten keinen eigenen Lieferservice an, aber ich hab ja auch nix gegen Essen-Bestellen – nur LIEFERANDO mag ich nicht, weil das quasi der FC Bayern unter den Foodbringservices ist.

Meistens aber, weil ich den angebotenen Service nicht verstehe, wie jetzt bei GORILLAS: Das neue milliardenschwere Start-Up mit der vielen Werbung im feschen schwarz-weiß-Design (hat da jemand bei FRITZ abgekupfert?) verspricht die Zukunft des Einkaufens zu sein. Alles da, in nur 10 Minuten! Schneller als ich selbst sein kann, sagen die Plakate. Die Fahrer*innen voll sympathisch, sagen Kund*innen, von ‚Fahrer*innen‘ spricht sogar die Homepage an manchen Stellen und erwähnt irgendwo auch, dass regionaler Bezug wegen Klima wichtig sei. Voll trendy alles. Und das kleine Leck im Datenschutz, aus dem Daten von 200.000 Kund*innen gesickert sind, ist bei den authentischen Fotos auf der Homepage schnell vergessen. Happy Warehousekeepers werfen dort happy Ridern happy Orangen zu. Glaubt man der Homepage, führt das zu totally happy Kund*innen:

„Ich habe einige Elektronen von einem Ort zum anderen bewegen lassen und in 10 Minuten ein Bier an meine Tür geliefert bekommen. Wir leben im Zeitalter der Wunder“

Alijosa

„ Gorillas hat mein Leben verändert. Endlich kann ich Zeit mit dem verbringen, was wirklich wichtig ist. Gorillas for president!

Kathi

Abgesehen davon, dass wir schon genug Gorillas als Präsidenten haben und Alijosa auch einfach seine*ihre Beine von einem Ort zum anderen bewegen kann, um in sehr wahrscheinlich 3 min an ein Bier zu kommen (zumindest in Köln), frage ich mich: Seriously? Sind das die Wunder der Zukunft? Zuhause hocken, Fernseh aka Netflix an und nette junge Leute bringen mir den Einkauf bis an die Tür. Wow! Einkaufshilfe. Klingt aber irgendwie auch nach alt und unfähig sein.

Nicht, dass Einkaufen mein Hobby wäre oder ich es zu den wichtigen Dingen des Lebens zähle, aber in times of Lockdownern war das teilweise mein soziales Happening. Samstag Abend, ab in’ REWE, da gibt‘s Menschen, Bier und sogar Musik. Aber jetzt wollen mich die GORILLAS überzeugen, dass nicht-mehr-selbst-einkaufen-müssen das ist, was meinem Dasein gefehlt hat. Weil es Menschen in Großstädten (da, wo GORILLAS liefert), in der Regel ja so weit zum Supermarkt haben und diese nur bis 22 oder 24 Uhr geöffnet haben und sonntags gar nicht. Das erinnert an die ganzen E-Scooter-Innenstädte: Statt die Mobilitätsangebote dort zu erhöhen, wo alle mit dem Auto fahren müssen, also auf dem Land, liegen elektronische Alternativen zum funktionierenden ÖPNV auf den Fahrradwegen rum, mit denen private Unternehmen noch mehr Daten sammeln.

Nix persönliches gegen GORILLAS, LIEFERANDO und Co., aber „auf den Straßen gewinnt man den Eindruck, als dienten die tollen Möglichkeiten der Daten-Hightech hierzulande vor allem der Nahrungsmittelversorgung von 35-Jährigen durch 25-Jährige“, wie es Velten Schäfer im FREITAG (Nr. 19/2021) auf einen Punkt bringt und dabei den alten Silicon-Valley-Witz zitiert, demzufolge „die heißesten Start-Ups immer die sind, welche die Mamas der jeweiligen Gründerjungs am besten ersetzen: von Bude putzen (HELPLING) bis Herumkutschieren (UBER).“ Vielleicht bin ich mit 31 und ohne Smartphone aber auch einfach zu alt für die digitale Zukunft und ihre tollen Service-Versprechen.

Irgendwo habe ich über die Transformation des Arbeitsmarktes mal gelesen oder gehört, das guter Service zukünftig ein zentraler Sellingpoint von Unternehmen werden wird. Ist ja irgendwie auch klar bei der Entwicklung hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Und guten Kundenservice feier ich total. Aber welche Dienstleistungen ich in Anspruch nehme, sagt was über mich aus und welche Dienstleistungen angeboten oder überhaupt entwickelt werden, eben über die Gesellschaft. Wenn wir nicht mal mehr selbst einkaufen (wollen), ist das dann wachsende Faulheit, Dekadenz oder Unselbstständigkeit, mit der die GORILLAS-Gründer und Investor*innen rechnen? Noch mehr Alles-gleichzeitig-erledigen, weil das zum artgerechten urban-lifestyle gehört und somit Gorillas nun mal in den Dschungel jeder Großstadt? Bring- und Lieferservices für alles – wenn das die Zukunft ist und das höchste, was Datenverarbeitungstechnologien versprechen, dann WOW, einfach nur WOW!

Nicht mehr lange und wir leben in QUALITYLAND. Das ist das Buch von Marc-Uwe Kling, das viel weniger Hype ausgelöst hat, als das Känguru-Zeugs. Dabei ist es nicht minder lustig, wesentlich absurder und gleichzeitig viel näher an der Wirklichkeit. Vielleicht ist auch genau deswegen der Hype ausgeblieben: irgendwie zu ernst im Inhalt. Denn das Buch denkt die gegenwärtigen Entwicklungen hin zur digitalen Zukunft und einem Markt, auf dem nur noch eine handvoll Unternehmen mit Monopolstellung agieren, einfach gerade aus weiter: Überall Service, den niemand braucht und den trotzdem alle nutzen, Arbeitsplätze gibt es im Grunde nur noch, damit Menschen irgendwas zu tun haben. Hauptsache man wird kein „Nutzloser“, aber irgendwie ist selbst den Maschinen und K.I. langweilig (und der gepriesene freie Markt hat sich selbst zu einer Art privaten Planwirtschaft hin abgeschafft).

Wenn sich GORILLAS nicht verrechnet hat, hat es vielleicht noch ein paar happytimes vor sich. Auch ohne mich als Kunden. Aber selbst die fastesten und happiesten Rider sähen gegen die Quality-Drohnen von „The Shop“ (der Amazon-Parodie in QUALITYLAND) alt aus, denn „The Shop“ beliefert dich sogar bevor du weißt, das Du was brauchst. Was Alijosa dazu wohl sagen würde? Also los Zukunft, her mit Dir! Dann haben Kathi und ich noch mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben – Fußballspielen mit C. und J. und danach bei T. im Vereinsheim warte ich weniger als eine Minute auf ein Bier. Versprochen.

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