Blog #25: the future is leider von gestern
Von Philipp-Bo Franke
Es gibt da einen Text, den ich vor 8 Jahren nicht fertig geschrieben habe, den ich aber gerne damals geschrieben hätte, um heute sagen zu können: Hab ich doch gesagt. Es ging in dem Text um Algorithmus-basierte Psychotherapie. Genauer gesagt Psychotherapie per App.

Hintergrund des nicht geschriebenen Textes war die Ausweitung des DSM5 2013. Das ist der Standartkatalog für psychische Krankheitsbilder. Mit seiner erneuten Ausweitung war die Sorge verbunden, dass durch die ansteigende Kategorisierung menschlicher Empfindungsmöglichkeiten als ‚krankhaft‘, der Spielraum für diese Empfindungen und seelischen Zustände immer weiter beschränkt würde. Die diagnostischen Normen dafür, was als ‚gesunder Mensch‘ gelte, würden damit letztlich auf statistische Durchschnittswerte reduziert. In der Folge wäre die Einteilung in gesund/krank nicht mehr qualitativ, also am individuellen Gemütszustand gemessen, sondern über die individuellen Abweichungen von allgemeinen Durchschnittswerten – also quantitativ – bemessen. Und damit verbunden würde auch die Schwelle zur medikamentösen Behandlung bei Abweichungen von der Norm immer geringer. Soweit (nicht nur) meine Sorgen. (https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Kritischer-Blick-aufs-DSM-5-270112.html).
Damals wie heute gilt: Es gibt immer mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen, was unter anderem auch damit zusammen hängt, dass es immer mehr psychische Krankheitsbilder gibt. Ich möchte das ‚unter anderem‘ hier betonen, weil es viele andere und gute Gründe für die Zunahme von psychischen Erkrankungen gibt (wie bspw. realistische Zukunftsängste, soziale Vereinzelung, systematische Überforderung, Gene, traumatische Erfahrungen, Verzweiflung über dauerhaften Krisenzustand der Welt, etc…) und ich nicht dahingehend missverstanden werden will, psychische Erkrankungen seien hauptsächlich auf den Diagnoseeifer seitens amerikanischer Mediziner*innen zurück zu führen. Gleichzeitig gilt heute wie damals, dass es zu wenig Psychotherapieplätze gibt. Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Ich dachte diese Gegebenheiten weiter und erlaubte mir folgenden Spaß:
Vor einer Runde Psychologie-Student*innen auf dem Campus behauptete ich, Apple wäre gerade an der Entwicklung einer digital-therapy-app dran, die bald auf dem Markt komme. Der iPsy. Apple hätte Riesensummen ausgegeben, Unmengen realer Therapie-Sitzungen aufgenommen, analysiert und in die App eingespeist. Gerade befände sich der iPsy in der Evaluationsphase, der Launch für die USA wäre bereits geplant.
Ich wollte nur die Glaubwürdigkeit des Szenarios testen. Die Student*innen zweifelten nicht an Apples iPsy-Plänen und verzweifelten auch nicht daran, dass in Zukunft ein umfangreich programmierter Algorithmus an der Entscheidung beteiligt sei, wer krank ist und wer nicht.
Das ZDF Magazin Royal widmete die Folge vom 04.02.22 der Frage, warum man in Deutschland bis zu sechs Monate auf einen Psychotherapie-Platz warten muss. Die Antwort laut ihren Recherchen: Weil mehr als 7000 kassenärztliche Zulassungen dazu fehlen. Die Folge ist gut, viel Spannendes zu dem Thema. Unter anderem hatte Ex-Gesundheitsminister Spahn vorgeschlagen, in der Wartezeit digitale Therapie-Angebote zu nutzen und als Minister solche gefördert. Mittlerweile sind digitale Therapie-Programme wie selfapy, deprexis, moodgym oder ifightdepression verfügbar. Diese sehen zwar nach amateurdesignten self-made Homepages von gestern aus, für Spahn & Co. ist das aber positive Zukunft, voll digital, voll modern. Ich haue mir an den Kopf, als ich begreife, dass mein Spaß von damals Ernst war und denke: Scheiße, ich hatte Recht.
Unabhängig davon, dass ich hoffe, eine „Ich-habs-ja-kommen-sehen“-Haltung heute hinter mir gelassen zu haben, weil ich mir erstens wünsche, ich läge falsch und zweitens, sich so eine Haltung vermutlich aus unterdrückten und unbefriedigten Anerkennungssehnsüchten speist, finde ich die gegebene Möglichkeit psychischer Betreuung durch Algorithmen oder Apps immer noch dystopisch. Wobei, jetzt ist es ja realistisch. Also dysto-realistisch. Heißt, die Realität ist schneller als die dazugehörige Dystopie und holt sie ein. Jedenfalls schmiegen sie sich eng aneinander. Kann sein, dass ich auch nur Technikskeptiker & Zukunftsleugner bin, der sich vor Maschinen fürchtet, weil er zu oft Matrix geschaut hat und von seiner Alt-68er Philosophie-Lehrerin zu viel Alt-68er-Lektüre empfohlen bekommen hatte. Aber eigentlich bin ich für Utopien, auch für Technik und denke durchaus, dass sinnvoll eingesetzte Technik uns retten kann.
Das Problem an dem letzten Satz ist das ‚sinnvoll‘ und seine unzähligen Interpretationsmöglichkeiten. Denn eine weitere Verwendungsmöglichkeit des iPsys und den vergleichbaren Apps liegt in ihm als iSpy. Digitale Therapien als riesige Datenabsauger. Schließlich käme man darüber an die wirklich sensiblen Daten. Das würden einige sicher sehr sinnvoll finden. Die üblichen Verdächtigen wie amazon, facebook (ach nee ‚meta‘), google aber auch Pharmaunternehmen und Regierungen. Hier trifft Altlinker auf modernen Datenschützer. Und machen wir uns nix vor: Eine App, die individuelle Datensätze von Gemütszuständen liefert und diese berechnen kann, macht nicht nur Verhaltensprognosen und micro-targeting möglich, sondern kann auch Verhalten steuern. Ein Beispiel:
Klaus hat keine Zeit für eine humanoide Psychotherapie und weil er in den USA wohnt, auch gar kein Geld dafür, weil keine Krankenversicherung. In Deutschland hätte Klaus seit sechs Monaten noch keinen Platz bekommen und seine Krankenkasse ihm deswegen eine App verschrieben. Klaus nutzt jetzt Dr. Happymaker. Ein bis zwei mal die Woche fragt der Doktor (Klaus hat sich für ein männliche Stimme entschieden, weil er sich und seine Probleme so ernster genommen fühlt): Wie gehts Ihnen heute? Klaus sagt: Irgendwie fühle ich mich nicht gut. Das geht dann noch fünf bis zehn Fragen und 15 Minuten weiter, dann muss die Sitzung zu einem Ende kommen, weil Klaus nur die kostenfreie Premium-Mitgliedschaft hat und nicht Premium+, was längere Sitzungen erlauben würde. Der digitale Therapeut kommt für heute zu dem Ergebnis: Sie fühlen sich schlecht. Das liegt an einem Dopamin-Mangel – kurzes animiertes Erklärvideo zum Dopaminhaushalt – Wann haben Sie sich zuletzt etwas Gutes getan? Sie könnten z.B. a oder b tun, gehen Sie doch zu x und kaufen y. 83% meiner anderen Patienten fühlten sich danach wesentlich besser. Und schon wird Klaus an der nächsten Ecke auf einem digitalen Plakat Werbung für y angezeigt, googlemaps zeigt ihm zwei nahegelegene Fitness-Studios und amazon hat ihm drei neue Produkte reserviert.
Das ist natürlich überzeichnet. Aber der iPsy war es 2013 auch und ich möchte weder in fünf noch in 15 Jahren sagen: Ich hab’s doch gesagt. Denn erstens kann ich mir nur vorstellen, dass solche digitalen therapeutischen Maßnahmen aufgrund ihrer limitierten Programmierbarkeit zwischen 1 und 0 letztlich unzureichend bleiben. Zweitens würde Technik tendenziell noch stärker bestimmen was ein braucht und damit der Mensch immer technischer – denn wenn die Definitionsmacht über gesunder Mensch/kranker Mensch aus 1en und 0en besteht, definiert sich der Mensch immer stärker nach diesem Schema und passt sich darin an die Limitiertheit der Technik an, weil er diese für überlegen hält. Und drittens könnte ich das gar nicht sagen, weil es so oder so ähnlich Marc-Uwe Kling mit seinem Quality-Land schon vorausgesagt hätte.
Falls sie dieser Text sie dystopiert, kann ich Ihnen QualitiyLand empfehlen. 83% der Menschen, die das Buch gelesen haben, würden es auch heute noch weiterempfehlen.