Blog #26: peace out

Von Philipp-Bo Franke

Der Krieg in der Ukraine ist eine Zeitenwende. In der deutschen Politik und für Deutschland, in der europäischen Politik und für die EU. Das liest und hört man viel dieser Tage. Eine zum verzweifeln traurige Wende ist dieser Krieg sicherlich, aber dass Krieg zur Realität gehört, ist leider nicht neu. Keine Frage, Putins Einmarsch in die Ukraine ist ein historischer Einbruch der bisherigen kontinentalen und auch globalen Friedens- und Sicherheitspolitik. Weil es ein nicht bestreitbarer Bruch mit dem Völkerrecht ist, aber auch und vor allem, weil es ein Krieg auf europäischem Boden ist.

Das gab es zuletzt vor knapp 25 Jahren im Kosovo. Theoretisch noch gar nicht so lange her, praktisch aus dem kollektiven Bewusstsein gerückt, denn damals war die Konfliktlage vielleicht weniger klassisch aufgeteilt in die bösen Invasionstruppen des einen Landes gegen guten Verteidigungstruppen auf der anderen Seite als jetzt. Und als letzter Ausläufer der Jugoslawienkriege war die Konfliktlage historisch komplexer. Aber dennoch war es ein Krieg auf europäischem Boden, man muss dafür nicht bis 1945 zurück rechnen. Und die letzten 20 Jahre Krieg in Afghanistan? Der war zu weit weg, zu komplex und dauerte zu lange, als dass wir als Gesellschaft emotional involviert bleiben konnten. Krieg und Kriegszustände, das war für viele hierzulande bis jetzt schwer bis gar nicht vorstellbar. Für die deutsche Politik, für die Gesellschaft und schon gar nicht denkbar innerhalb Europas. 

Nur sind wir jetzt mit einem Krieg konfrontiert, bei dem wir nicht wegschauen können. Damit steht die deutsche Politik unter enormen Handlungsdruck. Und die Gesellschaft steht vor der Frage, wie mit Krieg umgehen ist, wenn man doch gelernt hat, dass Gewalt nur Gegengewalt erzeugt, dass Frieden nicht mit Waffen erkämpft werden kann und dass die Bundeswehr vielleicht besser als Truppe für zivile Zwecke und Katastrophenschutz eingesetzt wäre, als in Panzern und mit Maschinengewehren, die ja gerade unter solchen Regenbogen-Pazifismus-Gedanken marode geworden sind.

Es ist ebenfalls bestürzend, wie schnell und geschlossen der Bundestag diese naiv klingenden Wahrheiten über Bord geworfen hat. Eine traurige historische Wende ist nämlich auch, dass die Bundeswehr jetzt mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen ausgestattet werden und der Rüstungsetat ab sofort über 2% des BIPs steigen soll. “Gespenstisch”, schreibt Jakob Augstein, wie die Abgeordneten im Parlament dieser Kurswende Beifall klatschen. ”Schweigen und stiller Ernst wären angemessen”. Auch Trauer und Wut, wenn man bedenkt, dass damit gerade ein halbes Jahrhundert der Abrüstung aufgegeben wird auch. 

Egon Bahr, Gestalter der gelungenen Friedens- und Entspannungspolitik im Europa des Kalten Kriegs fragte einmal, was nützt die Politik, wenn sie nicht den Menschen dient? Heute muss man fragen, was 100 Mrd. Euro mehr für die deutsche Bundeswehr den Menschen in der Ukraine nutzt. Eine Aufrüstung der Bundeswehr ist kein Akt der Solidarität mit der Ukraine. Man muss sich auch fragen, welches Signal damit gesendet wird. Dass sich Waffenbau nicht nur wieder lohnt, sondern angesichts eines so klaren Feindes auch wieder lohnen darf. Die Rüstungsindustrie darf sich nicht nur auf eine Menge neuer Aufträge freuen, sie bekommt auch noch gratis ihr Image poliert. 

Und das stellt die Gesellschaft vor die Fragen, welche Antwort Deutschland auf diesen Krieg geben soll? Wollen “wir jetzt lernen, die Bombe zu lieben” (Augstein im Freitag vom 3.3.) und rechtfertigt die einfache Aufteilung in den bösen Putin vs. den guten Westen den Einsatz davon? Wollen wir ernsthaft die Wehrpflicht wieder einführen? Sind wir erleichtert, dass es endlich wieder klare Feindbilder gibt und wer hat es insgeheim schon immer gewusst, dass ‘dem Russen’ nicht zu trauen ist? Alles Russische boykottieren – wem bringt das was? Hat Deutschland oder hat die Ukraine etwas davon, wenn die BRD am Ende über Nuklearwaffen verfügt? Wollen oder sollen wir uns und Europa zurück in den Kalten Krieg schießen, oder noch weiter zurück? 

Der Krieg in der Ukraine braucht keine neue Aufrüstungsbewegung, sondern eine neue Friedensbewegung und ein Sondervermögen für humanitäre Hilfe. So naiv das auch klingen mag.


P.S. Was dieser Krieg ebenfalls nicht braucht, ist eine weitere Instagramisierung des Protests. Schwarze Kacheln als Zeichen gegen Putin und den Krieg? Echt jetzt! Kann denn ernsthaft irgendjemand davon ausgehen, man wäre dafür oder neutral? Schwarze Kacheln ja, aber dann bitte erst ab 10€ Spende pro Tag. Zu sagen, dass man gegen Krieg ist, ist genauso banal, wie dass man sagt, dass man Nazis blöd oder Putin scheiße findet. Zeichen der Solidarität sollten mit Handlungen der Solidarität verknüpft sein, sonst sinds leere Zeichen und das wiederum bedeutet (zeichentheoretisch) Selbstdarstellung. 

Das Team des Katapult-Magazins hat zum Beispiel auf die Hälfte ihres Gehalts verzichtet, um damit ukrainische Journalist*innen und eine Ukrainische Katapult-Ausgabe zu finanzieren. Auch um Berichterstattung aus der Ukraine zu ermöglichen. Das ist nicht nur ein Zeichen, dass könnte doch mal ein Anstoß für die Bundesliga sein. Statt Kapitänsbinden in blau-gelb zu tragen, könntet ihr einen Monat auf die Hälfte eures Gehalts verzichten. Wenn sich die anderen europäischen Fussballligen anschließen, sind bald 100 Mrd. Euro brauchbare Solidarität auch drin. Dafür würde ich sogar applaudieren.


P.P.S. Was dieser Krieg nicht braucht, sind reaktivierte mittelalterliche Vorstellungen vom Heldentod, wie es Thomas Fischer hier ausführt:

https://www.spiegel.de/panorama/ukraine-krieg-gas-und-oel-aus-russland-olaf-scholz-hat-recht-kolumne-a-bf8a5981-a91d-4dda-a537-af65146ee8a8


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