Blog #4: Eine Antwort auf Philipp Hübl’s diffusen Kommentar
von Bo Franke
Eigentlich wollte ich hier diese Woche nur zwei Rassismus-kritische Podcasts empfehlen, aber aus aktuellem Anlass wurde daraus ein Brief. Der Anlass? Am 21.3.21 veröffentlichte der Philosoph und Professor für Kulturwissenschaft Philipp Hübl im Deutschlandfunk Kultur einen Kommentar mit dem Titel “‘Struktureller Rassismus’ – ein irreführender Begriff “. Er argumentiert sich darin bis zur These vor, dass “mit der diffusen Rede vom ‘strukturellen Rassismus’ […] niemandem geholfen [sei]”. Diese These ist mehr als fragwürdig. Die Argumentation dahinter ist es auch. Ich möchte hier auf ihn und seinen irreführenden Kommentar antworten. Sachlich, ausführlich und öffentlich – weil Rassismus keine Privatsache ist.

Sehr geehrter Herr Hübl,
es ist schön, dass Sie sich mit strukturellem Rassismus beschäftigen. Es ist schade, wie Sie das in Ihrem Kommentar vom 21.3. im Deutschlandfunk Kultur tun.
Sie bezeichnen dort strukturellen Rassismus als „ominösen Begriff“ und landen bei der These, dass „mit der diffusen Rede vom ‚strukturellen Rassismus‘ […] niemandem geholfen [ist]“. Es ließe sich weitläufig erklären, was ‘struktureller Rassismus’ bedeutet und an etlichen Beispielen demonstrieren, warum sich in Deutschland davon sehr konkret sprechen lässt. Und damit ließe sich auch begründen, warum man darüber sprechen muss. Das können und machen andere, die persönlich und täglich von strukturellem Rassismus betroffen sind aber besser als ich. Links zu Material für diesen Erklärungen liefere ich in der Textmitte. Verstehen Sie das gerne als persönliche Einladung, sich weiter und ernsthaft damit zu beschäftigen und mit Perspektiven auseinander zu setzen, die Ihnen vielleicht noch unbekannt sind. Im besten Fall erscheint Ihnen der Begriff danach weniger ominös und es wird verständlich, wie und warum das Reden darüber weiterhilft.
Als Philosoph und Germanist liegt meine Kompetenz woanders und ich möchte mich hier voll und ganz Ihrem Text widmen, da Ihre Argumentation darin irreführend ist. Er enthält neben einer sehr schwachen Argumentation auch fragwürdige Implikationen. Ich unterstelle Ihnen keinerlei böse Absicht, sondern lediglich Wissenslücken und fehlendes Bewusstsein. Wenn Sie also 3 Seiten Zeit haben, lassen Sie mich erklären, wieso ich Ihre These 1. für unbegründet halte; 2. warum Ihre Argumentation kurzsichtig und äußerst unbedacht ist; 3. wieso sie in der Konsequenz fatal ist.
1. Zur Unbegründung: mangelhafte Quellenarbeit, mangelhafte Quellenkompetenz
Sie beginnen mit dem Verweis auf die erste Quelle und schließen darüber auf einen Rückgang rassistischer Einstellungen in Deutschland. Dabei gehen Sie allerdings methodisch ungenau vor. Sie machen Ihre Einschätzung an dem Rückgang von 12,2% (2002) auf 7,2% (18/19) fest, den die Studie als Menschenfeindlichkeit der Kategorie „Rassismus“ ausweist. Die 7,2% mit rassistischen Einstellungen 2018/19, auf die sich Ihre Argumentation stützt, den 12,2% aus 2002 gegenüber zu stellen, ist etwas irreführend, da die Studie an der Stelle zwischen ‚Rassismus‘, ‚Fremdenfeindlichkeit‘, ‚Antisemitismus klassisch‘ und ‚Antisemitismus – israelbezogen‘ unterscheidet.
Je nach dem, wie weit oder ehrlich man Rassismus definieren will, könnte man auch die 18,8% mit ‚nur‘ fremdenfeindlichen Einstellungen gelten lassen, die neben den von Ihnen heran gezogenen 7,2% mit klar rassistischen Einstellungen stehen. Nach meinem Verständnis gehören zu Rassismus auch Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, islamfeindlicher Rassismus und noch viele weitere Formen von ethnischer Diskriminierung. Genau wie nach ihrer später angeführten „klassischen Version“. Wir sind uns also zumindest in dem Punkt einig, dass Rassismus auch eine Definitionsfrage ist. Bei dem Rückgriff auf die 7,2% fällt vieles von dem raus, was als Rassismus eingestuft werden kann und von vielen als rassistisch eingestuft wird, die sich wissenschaftlich mit dem Thema auseinandersetzen. Ihre hier verwendete Definition könnte deshalb als sehr wohlwollend gegenüber rassistischen Einstellungen eingestuft werden und Ihr Umgang mit der Studie als oberflächlich.
An anderer Stelle der Studie ist bspw. die Muslimfeindlichkeit unter den Befragten 2018/19 mit 18,7% angegeben, die Abwertung von Sinti und Roma kreist seit 2014 um stabile 25% und die Abwertung asylsuchender Menschen liegt bei 54,1%, was in dem Fall sogar ein Anstieg von 6,7% im Vergleich zu 2011 ist. Laut der Studie stimmten 2018/19 auch knapp 8% der Aussage zu, dass „die Deutschen anderen Völkern [eigentlich] von Natur aus überlegen [sind]“, was in der Studie als ‚harter Sozialdarwinismus‘ verortet wird. Für geltenden Nationalchauvinismus wird z.B. die Zustimmung zu der Aussage herangezogen, dass „das oberste Ziel der deutschen Politik […] es sein [sollte], Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“. Dem stimmten immerhin 17% der Befragten zu. Wenn man wohlwollend bleibt, zählt das nicht notwendig zu Rassismus, sondern geht eher in Richtung Faschismus. Wo die Studie explizit zwischen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Nationalchauvinismus unterscheidet, stehen 8,9% Fremdenfeindlichkeit zu Buche. Insofern führen die von Ihnen angeführten 7,2% in die Irre und stehen auch im Gegensatz zu der Gesamtaussage der von Ihnen zitierten Studie, dass „die Zustimmung zu menschenfeindlichen Vorurteilen in denen letzten fünf Jahren nahezu unverändert“ ist und immerhin 1/3 der Befragten stellen laut Studie auch ‚gleiche Rechte für alle‘ in Frage.
Ihre Interpretation, dass die generelle Tendenz rassistischer Einstellungen nach unten zeigt, ist also nur unter verengter Perspektive und nur teilweise zulässig. Die 7,2% als Prämisse für Ihr Argument bieten aber keine ausreichende Begründungsebene. Ihr Umgang mit der Studie lässt methodisch einige Luft nach oben und beinhaltet eine sehr wohlwollende Interpretation von Rassismus.
Was Sie mit dem bloßen Rückgriff auf diese Studie außerdem nicht berücksichtigen ist, dass eine rechtsextreme Partei mittlerweile in allen Landtagen vertreten ist und ihre Abgeordneten dabei insgesamt 12% aller Landtage ausmachen (https://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/afd/273131/wahlergebnisse-und-waehlerschaft). Das deckt sich in etwa mit dem aktuellen gesamtdeutschen Zuspruch der Wähler*innen für diese Partei (ca. 13% bundesweit würden heute die AfD wählen). Insofern sehe ich den Rückgang, von dem Sie sprechen, empirisch keinesfalls bestätigt. Außerdem gibt es Studien, die gegenteilige Schlüsse zulassen. Das behauptet zumindest der Spiegel und beruft sich dabei auf die aktuelle Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig. Die ist aber viel Länger und komplexer. Wie gesagt, die Begründungsebene in Ihrem Kommentar ist schon deshalb nicht besonders stabil. Aber es gibt ja noch eine zweite empirische Quelle.
Um den Rückgang rassistischer Einstellungen behaupten zu können, ziehen Sie auch die Liste der Opfer rassistischer Morde von 1990 bis 2020 heran und stellen den 144 rechtsextremen Morden zwischen 1990 und 2001 die 69 rassistisch motivierten Morde zwischen 2002 bis 2020 gegenüber. Klar, 69 < 144 und auch klar, dass es 0,0 sein müssen. Da sind wir uns wieder einig. Selbst wenn die Dunkelziffer in dem Bereich wahrscheinlich höher liegt, nehmen ich diese Zahlen – aber auch hier wieder genauer in den Blick, als Sie. Dann sieht man, dass sich 19% (18,85) dieser Morde aus rassistischen Motiven allein auf die letzten beiden Jahre verteilen. Während in den Jahren zwischen 2002 und 2018 statistisch 3,5 Menschen pro Jahr aus rassistischen Motiven ermordet wurden, waren es 2019 und 2020 6,5. Das offenbart folgendes:
A) einen eklatanten Zuwachs in den jüngsten Jahren, der fast einer Verdoppelung des Durchschnitts der 16 Jahre davor gleich kommt. Das ist ein aktueller Anstieg, der in starkem Kontrast zu dem generellen Rückgang steht, von dem Sie bzw. Ihre Argumente ausgehen. Bleibt also auch hier fraglich, inwieweit die von Ihnen herangezogen empirischen Daten Ihre These wirklich stützen können.
B) dass es zynisch ist, Statistiken in Mordfällen und speziell in rassistisch motivierten Morden heran zu ziehen und darüber eine Aussage zu formulieren, die in seiner Summe nach „alles halb so wild“ klingt.
C) ein fehlendes Bewusstsein oder Ignoranz gegenüber dem, was letztes Jahr passiert ist und was den Anstieg der Zahlen ausmacht. Was passiert ist? Hanau, Halle, Kassel. Oder noch konkreter. Der Mord an:
Kaloyan Velkov, Ferhat Unvar, Fatih Saraçoğlu, Vili Viorel Păun, Hamza Kurtović, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Kevin S., Jana L., Walter Lübcke.
Da sind Namen hinter den Zahlen. Namen von Menschen. Klicken Sie ruhig alle an.
2. Zur Kurzsichtigkeit: Zynisch oder unbewusst?
Im Angesicht dieser ermordeten Menschen und deren Hinterbliebenen ist es entweder zynisch zu behaupten, generell sähe es mit Rassismus in Deutschland heute besser aus als früher. Oder es ist äußerst kurzsichtig. Ich attestiere Ihrem Kommentar letzteres, denn Sie lassen darin diese Menschen, die Fragen der Angehörigen und Betroffenen nach dem Warum und den gesellschaftlichen Zusammenhang dieser Ereignisse gänzlich außer acht. Klar, Fakten und Statistiken bleiben immer Interpretationssache und darüber lässt sich auch streiten. Aber Ihre Interpretation der Opferliste als Statistik ist – verzeihen Sie mir, aber freundlicher lässt sich das aus meiner Position nicht formulieren – auf der persönlichen Ebene ignorant und frei von Empathie, auf der fachlichen Ebene offenbart sie wieder eklatante Wissens- oder Erfahrungslücken und denkt weder den Kontext noch ihre Konsequenz mit.
Das ist kein Vorwurf, sondern eine Einladung, sich damit näher zu beschäftigen. Um Ihre Perspektive in Sachen Rassismus und welche Auswirkungen er auf Menschen hat zu erweitern. Ich empfehle Ihnen (und allen anderen, die bis hier hin mitgelesen haben und sich mit Rassismus der jüngsten Vergangenheit und strukturellem Rassismus beschäftigen möchten) dazu folgende Podcasts:
Über die darin erörterten Erfahrungen wird vielleicht klarer, warum man in Deutschland von strukturellem Rassismus sprechen kann und auch, warum man von strukturellem Rassismus reden muss, um rassistische Diskriminierung und die Ideen dahinter abzubauen.
Ich unterstelle Ihnen wie gesagt keinerlei böse Absichten und Sie wünschen sich ja generell auch, die rassistische Mordquote läge bei 0. Das sind aber alles konkrete Fälle. Und mit den gleichen Statistiken kann man auch so umgehen, dass man die 0 fokussiert. Die Liste der Amadeu Antonio zeigt nämlich ebenso, dass es seit ihrem Beginn 1990 kein Jahr ohne rassistisch motivierten Mord in Deutschland gab. Eben weil jeder dieser Morde zu viel ist, hilft es nicht den Rückgang auf 69 Morde ab 2002 als Erfolg darzustellen. Es kann nicht sein, dass eine Gesellschaft erst über Rassismus redet, wenn Menschen sterben. Erstens wird es weniger, weil man mehr darüber spricht (nicht obwohl). Und zweitens: Was ist das für eine Messlatte, rassistische Einstellungen innerhalb der Gesellschaft an rassistischen Morden festzumachen? Und diese Messlatte steckt implizit in Ihrem Kommentar, was eine Verharmlosung rassistischer Diskriminierung zur Folge hat – und das kritisieren Sie doch selbst. Rassismus fängt nicht erst bei Morden an, er läuft im Extremfall darauf hinaus.
Rassismus tötet. Das ist so einfach, wie traurig, weil Realität.
Danach zu fragen, warum und wie es in Deutschland immer noch rechtsextreme Morde geben kann, ist ein Ansatz, das Problem ernst zu nehmen und auch wirklich keinen dieser Morde zu akzeptieren. Die 0 muss stehen. Und dafür muss man die 69 Fälle als das zu kennzeichnen, was sie sind: Ein gesellschaftliches Armutszeugnis und ein politisches Totalversagen. Der Staat kann seine Bürger*innen nicht vor rechter Gewalt schützen (also er könnte sehr wahrscheinlich schon, will anscheinend aber nicht so richtig) und in diesem Zusammenhang nach dem Warum zu fragen, hat nichts mit einer „sozioökonomischen Besserstellung“ anderer zu tun, wie Sie behaupten. Für manche Menschen geht es um ihr Leben, manche sehen das bedroht. Das ist kein Pathos, das ist die Realität dieser Menschen. Eben das zeigt die Liste.
3. Zur Konsequenz: Verharmlosung ist eine Praxis, aber keine Antwort
Aber weiter in Ihrem Text: Dass wir heute mehr über Rassismus reden liegt zwar auch daran, „dass Vertreter bisher ausgeschlossener Gruppen öffentlich ihre Rechte einfordern [und] vor allem daran, dass Begriffe wie ‚Gewalt‘ und ‚Rassismus‘ heute viel weiter gefasst werden als früher“. Klar, es wird heute mehr darüber gesprochen, weil Menschen ihre Erfahrungen öffentlich machen und auf Ungerechtigkeit hinweisen. Auch klar, dass man mehr entdeckt, wenn man genauer hinschaut. Klar ist aber auch, wenn man die Definition von Rassismus erst bei physischer Gewalt ansetzt, erscheint das Problem empirisch weniger groß. Aber soll man Ihrer Meinung nach den Begriff nicht so weit fassen, um das Problem nicht so groß zu machen? Das ist keine rhetorische Frage – ich komme nur nicht umhin, Ihren Kommentar so zu lesen. Und zu sagen, es gäbe schon ausreichend andere Begriffe wie ‘direkten-‘, ‘indirekten-‘ oder ‘institutionellen Rassismus’ berücksichtigt schlicht den aktuellen Forschungsstand dazu nicht.
Dass heute genauer geforscht und genauer hingeschaut wird, entsteht nicht aus dem Wunsch einer ominösen „Gleichverteilung“, von der Sie sprechen, sondern aus dem Wunsch, fundamentale Gleichstellung auf allen Ebenen der Gesellschaft (→ in Ihren Strukturen) zu erreichen. Also genau das Prinzip, das laut der ersten Studie einem Drittel der deutschen Gesellschaft nicht so ganz geheuer ist und dennoch seit 1949 gilt. Und dieses Hinschauen zeigt eben mehr und mehr, das Fehlen der faktischen Gleichstellung. Insofern belegen beide Studien, dass es zu viele Menschen gibt, die dieses Prinzip noch nicht verinnerlicht haben. Wegschauen oder Kleinreden ist diesbzgl. leider auch gängige Praxis und fasst sich strukturell unter dem Label der ‚Verharmlosung‘.
Der Rassismus-Begriff wird durch den Vorsatz ‚strukturell‘ nicht beliebig erweitert. Er wird dadurch lediglich in die Realität geholt und auf den heutigen (wissenschaftlichen) Kenntnisstand angepasst. Diese Erweiterung ist das Ergebnis eines Rassismus-kritischeren Blicks auf Gegenwart und Vergangenheit und rückt (zu) langsam aber sicher die blinden weißen Flecken in Sachen Rassismus und seiner Geschichte in den Fokus. Das heißt, wir gucken zwar mehr, wir finden aber auch immer mehr, weil jede Menge da ist.
Weil rassistisches Denken und daraus resultierende rassistische Diskriminierung entgegen der deutschen Nachkriegsnarration viel weiter und viel tiefer in der deutschen Gesellschaft verankert sind, als viele sich wünschen. Eben auch auf dem Arbeitsmarkt, dem Wohnungsmarkt, im Kulturbereich, auch in öffentlichen Institutionen und Berufsgruppen u.s.w.. Ob sich dieses Denken jetzt wieder zeigt oder nur offensichtlich wird, dass es immer noch sehr verwurzelt ist, ist an der Stelle erstens sekundär und zweitens nicht von einander zu trennen, wie bspw. Max Czolleck in seiner Gegenwartsbewältigung erörtert. Aber klar, wenn man nicht guckt, sieht man auch nichts.
Struktureller Rassismus bedeutet nicht, dass „im Extremfall jetzt jeder ein Rassist [ist], wenn er einer Gruppe angehört, die im Mittel sozioökonomisch bessergestellt ist als eine nicht-weiße oder zugewanderte Minderheit“. Es bedeutet nur, dass in einer Gesellschaft alle auf die eine oder andere Weise davon betroffen sind. Manche durch Diskriminierung, andere durch Privilegien. Manche kriegen das mit, andere nicht. Aber alle kriegen das ab, aktiv oder passiv, eben weil sie Teil einer Gesellschaft sind, in der Rassismus eine Rolle spielt. Und dass es eine Rolle spielt, belegen die empirischen Befunde (aber das zweifeln Sie ja auch gar nicht an). Es bedeutet also nur, dass eine Besserstellung von Gruppen und/oder Individuen mit rassistischen Strukturen zu tun haben kann – nicht muss. Was wiederum nicht bedeutet, dass diese Menschen notwendigerweise Rassisten sind. Soweit die Logik.
Darüber hinaus geht es beim Abbau rassistischer Einstellungen und Strukturen nicht um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Es geht immer um die Praxis, wie ihre Kollegin Eva von Redecker betont. Es geht darum, Praktiken, die aktiv oder passiv rassistisch diskriminieren, loszuwerden. Es geht um die 0. Nicht nur in der Mordstatistik. Und es geht um gleiche Chancen und um strukturelle Gleichbehandlung. Nicht auf dem Papier, sondern faktisch. Da hilft ihr Kommentar herzlich wenig dabei und ist irreführend, denn er liefert in seiner Konsequenz Argumente, sich eben nicht ernsthaft damit auseinander zu setzen und leistet denen Vorschub, die das alles für halb so wild halten. Liegt Ihr Fokus tatsächlich darauf, rassistische Diskriminierung abzubauen, ist es genauso wenig zielführend auf „andere Faktoren“ zu verweisen. Die gibt es, spielen in dem Zusammenhang aber nur untergeordnete Rollen.
Deswegen muss ich Ihnen in Ihrer These widersprechen. Der Begriff ‚struktureller Rassismus‘ ist keineswegs ominös. Er macht die Tragweite von Rassismus deutlich und ist gerade deswegen brauchbar.
Fragen Sie ernsthaft die Angehörigen der Opfer und diejenigen, die negativ von Rassismus betroffen sind, was sie von dem Begriff halten und wie diffus ihre Erfahrungen von strukturellem Rassismus sind. Wenn Sie dann immer noch zu dem Schluss können, niemandem sei mit dem Reden über strukturellen Rassismus geholfen, bin ich aufrichtig an den Argumenten dafür interessiert, weil ich will mich ja auch weiterbilden. Meinem jetzigen Kenntnisstand nach aber verharmlost der Begriff entgegen Ihrer These nichts, sondern zeigt, das Rassismus immer noch ein gesellschaftliches Problem, kein Einzelfall und keine Privatsache ist.
Und auch wenn die Frage ‚Woher kommst Du‘ unschuldig gemeint ist, steckt in ihr oftmals und implizit die Annahme, als Schwarze bzw. nicht-weiß-gelesene*r Deutsche*r könnte man nicht genauso selbstverständlich ‚von hier‘ sein. Was in der Konsequenz die Idee von Deutschen und irgendwie nicht-so-ganz-Deutschen stabilisiert. Oder dass es ein Sonderfall wäre, als Nicht-Weiße Person einen deutschen Pass und Hintergrund zu haben. Bei 25% der Deutschen mit sogenannter Migrationsgeschichte ist es das statistisch jedenfalls nicht. Und was diese Annahmen in letzter Konsequenz bedeuten, führt dann wieder zurück zu Amadeu Antonio, nach Hanau, nach Halle, nach Chemnitz, nach München, nach Hoyerswerda, … .
Und da wir uns einig sind, dass das in jeglicher Konsequenz keine Option ist, möchte ich Sie bitten, sich weiterhin ernsthaft mit dem Thema zu beschäftigen, sich unvoreingenommen darin einzuarbeiten und danach zu prüfen, inwieweit Sie weiterhin von Ihren Argumenten überzeugt sind. Ich freue mich über eine Antwort und verbleibe,
mit freundlichen Grüßen,
Philipp-Bo Franke
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