Blog #12: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Von Jonas Linnebank.

Vor ein paar Tagen hat ein Kumpel von mir ein Video gepostet. Darin zu sehen: Mitglieder einer scheinbar palästinensischen Familie, die in ihrem Haus sitzen, über ihre Lieblingsräume erzählen, über Zukunftsträume phantasieren. Währenddessen sehen wir im Hintergrund Menschen mit schwarzen Hüten, Kippot, Bärten und Schläfenlocken die Wohnung ausräumen. Am Ende schubsen jüdische Männer den alten Patron des Hauses vom Stuhl aus dessen Garten. 5,8 Millionen Menschen haben das Video gesehen. Herzen und ergriffene Smilies schmücken die Kommentarspalten, keine Definitionen von ‘Othering’. 

Ich bin mir recht sicher, dass es nicht nur für mich schwierig ist, herauszufinden, ob das, was ich sagen will, es wert ist, publiziert zu werden. Was ist also der Mehrwert, wenn ich über unseren derzeitigen Instagramfeed schreibe, der im Moment gleichermaßen bestimmt wird von Solidaritätsbekundungen mit Palästina und Infografiken, warum es nicht antisemitisch ist, X, Y oder Z zu sagen. Außerdem erfahre ich, dass Israel ethnische Säuberungen vornimmt und vorgenommen hat, dass Israel eine Kolonialmacht ist, die Apartheidspolitik betreibt, dass Israel – weil sie es können und wollen – kleine Kinder tötet. Das Fazit bleibt immer: Wer sich nicht dagegen solidarisch zeigt – zu welchem Nutzen und an welches Publikum auch immer gerichtet – ist generell nicht solidarisch. Entweder. Oder. Denn: Solidarisch zu sein bedeute Arbeit und unangenehme Positionen aushalten zu können. 

Und so sehr letzteres auch stimmt: Intersektionale Solidarität speist sich aus dem Hören verschiedener Geschichten und Erinnerungen, und dem Nachdenken darüber, wie widerspruchstolerante Solidarität in Gemeinschaften funktioniert. Als erster Schritt steht die Anerkennung des Vorhandenseins von diversen Schicksalen, Erinnerungen, Beziehungen, Identitäts- und Sinnsuchen. Und deren Gleichzeitigkeit. Solidarität ist nicht einteilbar in Entweder Oder. Aber die Entweder-Oder-Keule ist schneller bei der Hand als du gucken kannst.

Ich werde ein bisschen stutzig, wenn Menschen und Gruppierungen mir ständig erzählen, was sie nicht sind. Wenn ich dauernd höre, dass es nicht antisemitisch ist, X, Y und Z zu sagen, frage ich mich, warum das dauernd betont wird. Wenn du nicht antisemitisch bist, bist du nicht antisemitisch. Wenn du nicht antisemitisch sein willst, sei nicht antisemitisch oder finde heraus, was zu tun ist. Wenn du mir erzählt, dass das, was du tust, nicht antisemitisch ist, sondern nur Framing der israelischen Propaganda oder der Einfluss der israelischen Regierung auf mächtige (westliche) Verbündete, wunder dich doch bitte nicht, dass ich an meinen Onkel denke, der da ernsthaft meint, dass es klar sei, dass die jüdischen Großbankiers die Welt (immer noch) lenkten. 

Und um mich endlich rauszureden, aus dem Warum-schreibe-ich-diesen-Text, kommt jetzt endlich die Empfehlung, die uns von Instagram wegführt. Daniel Donskoy lädt im WDR unterschiedliche Gesprächspartner_innen zu Freitagnacht Jews ein. Und endlich sagt im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen jemand, nämlich Max Czollek, dass viele Jüdinnen und Juden, die in Deutschland wohnen, den Krieg halt zum Glück gewonnen haben und dass die, bei denen sich der gemeine Deutsche entschuldigen will, nun mal schon tot sind. Machtpositionen werden zurechtgerückt, beleuchtet, besprochen, Geschichten erzählt, die sonst nicht in der Fernsehlandschaft erzählt werden. Und es ist schön, Donskoy und Gäst_innen beim Essen zuzusehen. 

Vier Folgen erscheinen noch in den kommenden Freitagen. Ich würde mir wünschen, dass der WDR die Reihe fortführt.  

Kommentar verfassen